Verwaltung und Einzelhandel gehen “Schulter an Schulter“ den Weg in die digitale Zukunft.
Digitalisierung – einige können das Wort schon gar nicht mehr hören. Dabei gibt es durchaus Erfreuliches zu diesem Thema zu berichten. Ich hatte Gelegenheit, über den digitalen Tellerrand zu schauen und besuchte im Rahmen der Mitgliederversammlung der buergerservice.org am 29. März 2022 die Stadt Kassel. Der Versammlungsort Kassel war von den Initiatoren nicht zufällig gewählt.
Kassel, vielen durch die „documenta“ bekannt, hat neben vielen weiteren Attraktionen einen digitalen Leuchtturm geschaffen. Das Fundament bilden die Verwaltung der Stadt und GALERIA Kaufhof, eine prominente Vertreterin des Einzelhandels. Nun ist Kassel mit ca. 200.000 Einwohnern nicht mit Hohen Neuendorf zu vergleichen und GALERIA Kaufhof nicht mit den typischen Einzelhändlern in unserer Stadt. Jedoch können wir die Triebfedern, die in Kassel zu der Innovation geführt haben, auch bei uns ausmachen. Der Innenstadtbereich erfährt eine gewisse Erosion. Zunehmender Onlinehandel und die Nähe zur Metropole Berlin, wo Shopping Malls, die regelrecht zu Erlebnisparks ausgebaut sind, es unseren Händlern schwermachen. Auf der anderen Seite steht auch die Verwaltung vor vergleichbaren Herausforderungen. Die Menschen in Hessen haben die gleichen Unsicherheiten im Umgang mit digitalen Medien, wie die Menschen in Brandenburg. Die in Kassel gelungene Symbiose von Bürgern, Verwaltung und Einzelhandel ist übertragbar.
Dabei ist es beabsichtigt, den Bürger als ersten in der Aufzählung zu nennen. Denn der Bürger ist derjenige, der die größte Rolle beim Gang in die Zukunft innehat. „Bürgerinnen und Bürger an die neuen digitalen Prozesse und Medien heranzuführen, ist die Aufgabe, der wir uns gerne stellen“, vertritt Anja Morell, Leiterin des Bürgeramtes der Stadt Kassel, eine ganz klare Position.
GALERIA Kaufhof gestaltet in seinem Kaufhaus, das sich in Premiumlage im Zentrum Kassels befindet, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Stadt und städtischen Unternehmen eine Begegnungszone. In dieser werden Bürgerinformationen und -dienste für jedermann „anfass – und erlebbar“ zur Verfügung gestellt. Damit es nicht eine reine Alibiaktion bleibt, wird der Pilotbereich durchgängig von fachkundigen und – wie ich selbst erleben durfte – engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kassel Marketing betreut. Diese begleiten die Bürger durch die digitalen Angebote und machen Mut und Neugierde zum Teilnehmen und aktiven Mitmachen. „Einfach technische Geräte aufzustellen, reicht nicht aus. Für die Menschen bedeutet Digitalisierung auch eine Veränderung in vertrauten Abläufen sowie neue Berührungspunkte zu digitalen Techniken,“ sagt Anja Morell. Sie merkt an, dass die Begeisterung für einfache digitale Angebote ebenso wichtig ist wie das Beseitigen der Schwellenangst, und das Bilden von Vertrauen. Für Anja Morell ist auffällig, „dass selbst junge Menschen Berührungsängste im digitalen Umgang mit der Verwaltung haben können, obwohl sie in anderen Lebensbereichen eine hohe digitale Affinität an den Tag legen.“
Ein gelungenes Beispiel ist ein 360° Rundgang durch das Büro des Bürgermeisters. Mittels moderner „Virtual Technology“ kann jeder Bürger einen Blick ins Büro werfen. Das schafft Bürgernähe und baut Berührungsängste ab. Am häufigsten wird der Stand durch die Altersgruppe 50+ frequentiert.
Der Nutzen kommt allen zugute. So können die Wartezeiten auf Termine und die Bearbeitungsdauer reduziert werden. Der Renner ist die Kassel DokBox. Physisch gebundene Dokumente, wie Führerschein, Personal- oder Reiseausweis usw. können in einer Dokumentenausgabe-Box hinterlegt werden. Der Empfänger erhält einen personalisierten Zugriffcode per SMS, der nur für einen Vorgang gültig ist. Gestartet wurde mit der Ausgabe von Reiseausweisen. Perspektivisch können pro Jahr 20.000 (!) Dokumente auf diese Art dem Bürger übergeben werden. Und das zu den Öffnungszeiten von GALERIA Kaufhof in einer vor Vandalismus geschützten, sicheren Umgebung.
Infosysteme, wie „Meine Stadt“ runden das Angebot für Kasseler Bürger, als auch für Touristen ab. Der interaktive Stadtplan weiß viele interessante Details. Selbst Alteingesessene finden hier Wissenswertes über ihre eigene Stadt.
Abgerundet wird das Angebot durch das Bürgertelefon „115“. Hier werden Bürger zusätzlich unterstützt und erhalten telefonisch Antworten auf ihre Fragen zu kommunalen, Landes- und Bundesleistungen. Das „rote“ Telefon verbindet direkt mit kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des städtischen 115-Servicecenters.
Ein Modell, das zu Nachahmung einlädt.
Hohen Neuendorf ist nicht Kassel. Daher sind die Konzepte nicht 1:1 übertragbar. Übertragbar sind jedoch der Spirit und die positiven Erfahrungen.
Für mich sind die Erfolgsfaktoren:
- Aufklärung und Transparenz
- Abbau von Berührungsängsten
- Besserer Bürgerservice
- Geduld und die Bereitschaft, auf Bürgerwünsche einzugehen.
Neugierig geworden? Haben Sie Anregungen für unser Hohen Neuendorf?